Zwei Erinnerungsstücke ...
... zu einem Schlüsselmoment deutscher Geschichte als Geschenk
Die Formulierung vom „Schicksalstag der Deutschen“ kennen viele nicht zuletzt aus der Schule. Der 9. November brachte, ob zufällig oder auch inszeniert, im 20. Jahrhundert mindestens viermal Ereignisse mit sich, die in der Folge auch über die Grenzen unseres Landes hinaus Bedeutung erhalten sollten: die Revolution nach dem 1. Weltkrieg 1918, der gescheiterte Putschversuch 1923, die Pogromnacht des Jahres 1938 und die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze 1989. Es tut gut, dass diese Reihe mit einem friedlichen Ereignis endet.
Es tut auch gut, an dieser Stelle nicht ins 21. Jahrhundert und über deutsche Grenzen hinaus blicken zu müssen. Denn so darf der 9. November 2016 weitgehend unbeachtet bleiben, der in späteren Geschichtsbüchern mit hoher Wahrscheinlichkeit zu finden sein wird: als Beispiel für einen auf höchster Ebene vollzogenen Paradigmenwechsel von dem, was bis dahin unter Politik bzw. weitgehend demokratischem Prozess zu verstehen war. Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA ist, um es auf Englisch zu sagen, „another article“.
Zurück zum 9. November 1989. 30 Jahre Mauerfall – zu diesem Schlüsselmoment der jüngeren deutschen Geschichte startete das OVB in diesem Jahr, wie fast alle Medien im In- und Ausland, eine kleine Serie von Berichten. Von und über Zeitzeugen dies- und jenseits der ehemals deutsch-deutschen Grenze, ihre Erlebnisse, Eindrücke, Erfahrungen. Einer dieser Artikel sollte beleuchten, wie Schüler heutzutage mit dem Ereignis in Berührung kommen. Wie junge Menschen, die weder DDR noch D-Mark persönlich erlebt haben, damit umgehen, welche Bedeutung es für sie besitzt. Interviewt wurde ein Mitglied des IGG-Lehrerkollegiums, das 1989 ungefähr im gleichen Alter war, wie die Schüler heute sind, die zum Mauerfall unter anderem auch von ihm unterrichtet werden:
Direkt nach dem Erscheinen des Artikels meldete sich ein OVB-Leser in der Redaktion. Er hatte nicht nur den Fall, sondern auch den Bau der Mauer selbst miterlebt und wollte nun ein persönliches Erinnerungsstück den Schülern des IGG zur Verfügung stellen, falls Interesse bestünde. „Dann können die Kinder mal etwas Geschichte, die sie nicht erlebt haben, selbst in die Hand nehmen.“ Eine Möglichkeit, auf einem anderen Weg buchstäblich mit einem Schlüsselmoment in Berührung zu kommen, der eine vermeintlich fest verschlossene Tür durch eine Panne auf einer Pressekonferenz im November 1989 plötzlich aufgesperrt hatte.
Andreas Bichlmaier (82) aus Nicklheim bei Raubling überquerte als Fahrer für die vormals in Raubling ansässige Zellstoff- und Papierfabrik PWA (heute: Raubling Papier GmbH) zu DDR-Zeiten öfters die Grenze auf dem Weg zu einer Partnerfirma in der Gegend Leipzig. Nachdem die Mauer gefallen war, bekam er wie manche seiner Kollegen ein Stück alte Grenzbefestigung plus zugehörigen Stacheldrahtteil im Original-DDR-Karton geschenkt. Dieser befindet sich nun samt Inhalt zur Ansicht bei uns im IGG. Und es kam noch mehr.
Helmuth Brunner (79) erfuhr bei einem Stammtischgespräch von der Absicht, dass Herr Bichlmaier sein Erinnerungsstück dem IGG überlassen möchte, falls sich der Lehrer im Artikel auf seinen Anruf beim OVB hin melden sollte. Helmuth Brunners Sohn hatte sich damals 18-jährig unmittelbar nach dem Mauerfall mit Schulfreunden auf den Weg gemacht, um direkt an den Ort des Geschehens zu fahren. Unter anderem mit demselben Ziel wie so viele andere Zeitgenossen auch: Ein Stück aus diesem Mahnmal heraus zu hämmern und als Souvenir nach Hause zu bringen. Ein Ergebnis der Aktion des damaligen Schülers liegt nun ebenfalls in unserer Schule zum Ansehen und Berühren aus. „Ein Stück Mauer für den Unterricht“, wie das OVB die nette Geschichte über den Weg der beiden Erinnerungsstücke ins IGG betitelte:
Im Namen unserer Schulfamilie nochmals herzlichen Dank an die beiden Spender für ihre Großzügigkeit, die uns diesen historischen Schlüsselmoment buchstäblich zwei Stücke nähergebracht hat!
Andreas Wagner